Überblick

Im Amtshaftungsprozess stoßen zwei rechtliche Welten aufeinander: In einem Zivilprozess werden dem öffentlichen Recht zuzuordnende Rechtsfragen auf der Grundlage einer bürgerlich-rechtlichen Haftungsnorm behandelt. Naturgemäß führt das zu erheblichen Schwierigkeiten sowohl auf der materiell-rechtlichen als auch auf der prozessualen Ebene.

 

Nach einer statistischen Erhebung zur Reform des Staatshaftungsrechts aus dem Jahre 1972 scheiterten rund 75 Prozent aller Amtshaftungsklagen ganz, etwa 20 Prozent der Klagen wurden zum Teil abgewiesen. Einer vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebenen Studie zum Geschäftsanfall in Staatshaftungssachen für die Jahre 1993 bis 1995 zufolge hat sich daran nichts Wesentliches geändert. Die auffallend hohe Misserfolgsquote ist wohl unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Tatbestand der Amtshaftung aufgrund seiner historisch bedingten „Verzerrungen und Ungereimtheiten“ denkbar undurchsichtig ist.

 

Nach der Statistik stehen die Chancen des Hoheitsträgers für die erfolgreiche Abwehr eines Amtshaftungsanspruchs also weitaus besser als die Chancen des Klägers. Jedoch ist der Prozess auch für den Beklagten mit erheblichen Schwierigkeiten und Risiken behaftet: Im Hinblick auf bestimmte Anspruchsvoraussetzungen zeigt die Rechtsprechung eine klare Tendenz zur Ausweitung der Haftung, beispielsweise bei der weitgehenden „Objektivierung“ des Verschuldensmerkmals oder bei der restriktiven Anwendung der Subsidiaritätsklausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB bei der Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr.

 

Auch die vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene rechtstatsächliche Untersuchung belegt, dass ein Vorgehen gegen den rechtswidrig handelnden Hoheitsträger nicht von vornherein aussichtslos ist: Von insgesamt 112.854 in den Jahren 1993 bis 1995 bei Bund, Ländern und Kommunen geltend gemachten Entschädigungsansprüchen wurde nur in 36.138 Fällen jegliche Leistung verweigert; von den insgesamt geltend gemachten Forderungen in Höhe von über 943 Mio. DM wurden immerhin über 265 Mio. DM zuerkannt. Den größten Anteil daran trugen die Kommunen: Gegen sie wurden in insgesamt 73.170 Fällen Ansprüche in einem Volumen von über 548 Mio. DM geltend gemacht, Zahlungen wurden in Höhe von über 176 Mio. DM geleistet.

Nach Art. 34 Satz 3 GG haben über die Frage, ob für hoheitliches Unrecht nach Amtshaftungsgrundsätzen gehaftet wird, nicht die Verwaltungsgerichte, sondern die ordentlichen Gerichte zu entscheiden. Diese Rechtswegzuweisung erweist sich als wenig sachgerecht. Es ist kein Geheimnis, dass die Beurteilung rein öffentlich-rechtlicher Fragen vielen Zivilrichtern Schwierigkeiten bereitet. Dies erklärt auch, warum so viele Amtshaftungsfälle ihren Weg zum BGH finden. Die Anzahl der höchstrichterlichen Entscheidungen zur Amtshaftung ist mittlerweile kaum noch überschaubar.

 

Allein mit den Gesetzestexten des § 839 BGB und des Art. 34 GG lassen sich Amtshaftungsfälle nicht lösen. Bedingt durch die zahlreichen Defizite der Anspruchsgrundlage hat der BGH eine Vielzahl von Korrekturen vorgenommen, die das Amtshaftungsrecht überwiegend zum „case law“ machen.

 

Mit den folgenden Seiten soll versucht werden, die materiell-rechtlichen Aspekte des Amtshaftungsanspruchs und die bei der gerichtlichen Durchsetzung auftretenden Probleme anschaulich zu machen. Hierbei kann es nicht bei einer isolierten Betrachtung der Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG als staatlicher Haftung für verschuldetes hoheitliches Unrecht verbleiben. Vielmehr müssen Parteien und Gericht auch weitere Anspruchsgrundlagen berücksichtigen, die an hoheitliches Unrecht anknüpfen. Diese weisen in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen zumeist erhebliche Unterschiede zur Amtshaftung auf. Ein Beispiel hierfür ist der verschuldensunabhängige Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff, der im Amtshaftungsprozess von Amts wegen zu prüfen ist.

 

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs und seiner Durchsetzung im Prozess. Daneben werden – in Grundzügen – die weiteren an hoheitliches Unrecht anknüpfenden Anspruchsgrundlagen berücksichtigt. Demgegenüber werden Ansprüche, die auf ein rechtmäßiges hoheitliches Handeln zurückgehen, wie etwa die Entschädigung bei rechtmäßiger Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG in Verbindung mit einer einfachgesetzlichen Entschädigungsvorschrift, nicht behandelt. Diesbezüglich ergeben sich regelmäßig keine Konkurrenzfragen oder Verknüpfungen zur Amtshaftung.

 

Angesichts der zahlreichen Fallstricke, in denen man sich in einem Amtshaftungsprozess verfangen kann, lässt sich der Entschluss zur Klageerhebung keinesfalls leicht fassen. Der erste Schritt der Entscheidungsphase betrifft die Frage der materiellen Erfolgsaussichten einer Amtshaftungsklage. Erst im Anschluss daran stellen sich die Fragen der Beweisbarkeit und der prozessualen Durchsetzbarkeit.

 

Dem Rechtsanwalt obliegt dabei eine eingehende und sorgfältige Analyse der Sach- und Rechtslage als Grundlage einer allgemeinen, umfassenden und erschöpfenden Beratung des Mandanten. Ist ein Prozess erkennbar aussichtslos, muss er von der Klageerhebung abraten. Sind bereits Klagen vor den Verwaltungsgerichten abgewiesen worden, sind weitere Amtshaftungsklagen nur in den seltensten Fällen erfolgreich. Im Übrigen eignen sich Amtshaftungsprozesse ohnehin nicht zu einem Feldzug gegen die Verwaltung. Selbst bei einer verhältnismäßig sicheren Beurteilung der Erfolgsaussichten aufgrund einer Vergleichbarkeit des konkreten Falls mit höchstrichterlich bereits entschiedenen Fällen besteht immer noch ein gewisses Prozessrisiko.

 

 

Bei der Prüfung der materiellen Erfolgsaussichten darf keinesfalls nur auf den Amtshaftungsanspruch abgestellt werden. Vielmehr sind auch weitere Anspruchsgrundlagen in die Prüfung einzubeziehen, die sich vom Haftungsgrund und Haftungsumfang her zum Teil beträchtlich vom Amtshaftungsanspruch unterscheiden. So verlangt etwa die Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff kein Verschulden, kann andererseits aber auch nicht einen entgangenen Gewinn ersetzen.