OLG Brandenburg, Urteil vom 15.1.2019 – 2 U 49/17

Sachverhalt

Die Kl. macht Schadensersatzansprüche aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nach einem Astabbruch geltend. Sie ist Eigentümerin des Pkw Mercedes-Benz. Am 10.9.2015 parkte der Zeuge W das Fahrzeug am Fahrbahnrand einer Straße in W. Neben der Straße befinden sich ein Gehweg und Straßenbäume. An diesem Tag brach von einer Linde ein großer, schwerer und weit verzweigter Ast von mehreren Metern Länge und einem Durchmesser von ca. 50 cm ab und stürzte auf die Motorhaube des geparkten Pkw. An diesem Tag gab es einzelne Windböen. Die Kl. hat Ersatz der Wiederbeschaffungskosten und Nutzungsausfallentschädigung begehrt.

Entscheidungsgründe

Die Kl. hat einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bekl. iHv 2.658,15 Euro sowie entsprechender Rechtsverfolgungskosten aus § 839 I BGB iVm Art. 34 GG, §§ 9 IV, 10 I BbgStrG. Im Übrigen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.

2.1. Unstreitig ist durch einen Astabbruch von einem Straßenbaum am 10.9.2015 das Fahrzeug der Kl. beschädigt worden. Die Bekl. ist für die eingetretenen Schäden verantwortlich, denn sie hat die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Mit dem LG ist davon auszugehen, dass der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen hat, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestands der öffentlichen Hand zumutbar sind. Dazu genügt in der Regel eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung, bezogen auf die Gesundheit des Baums (OLG Hamm, NJW-RR 2003, 968). Straßenbäume sind grundsätzlich ein (OLG Köln, VersR 2010, 1328) bis zwei Mal im Jahr – einmal in unbelaubtem und einmal in belaubtem Zustand – einer Sichtkontrolle vom Boden aus zu unterziehen (Senat, Urt. v. 1.7.2008 – 2 U 30/06, BeckRS 2008, 15475; OLG München, Urt. v. 7.8.2008 – 1 U 5171/07, BeckRS 2008, 17111; offengelassen in BGH, NJW 2004, 1381), wenn nicht besondere Umstände im Einzelfall eine häufigere oder andersartige Kontrolle gebieten. Eingehendere Untersuchungsmaßnahmen an Bäumen sind nur dann vorzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die der Erfahrung nach auf eine besondere Gefährdung durch den Straßenbaum hinweisen. Solche Anzeichen sind etwa eine spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall, hohes Alter des Baums, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung und sein statischer Aufbau (vgl. schon BGH, NJW 1965, 815, aber auch BGHZ 160, 18 = NJW 2004, 3328; OLG Hamm, NZV 2015, 598; so auch OLG Köln, Urt. v. 27.8.2015 – 7 U 119/14, BeckRS 2015, 20014; OLG Dresden, Urteil v. 6.3.2013 – 1 U 987/12, MDR 2015, 387 = BeckRS 2014, 18505). Bei der Kontrolle können sich die Sicherungspflichtigen im Regelfall an der vom F-e.V. entwickelten Baumkontrollrichtlinie (F-Richtlinie) orientieren, welche von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. bspw. OLG Köln, Urt. v. 29.7.2010 – 7 U 31/10, BeckRS 2010, 21465) als Orientierungshilfe anerkannt wird. Hierbei sind insbesondere das Alter und etwaige Vorschädigungen des Baums sowie die Verkehrsbedeutung des angrenzenden Bereichs in Betracht zu ziehen.

Der der Kl. obliegende Nachweis der Amtspflichtverletzung, mithin, dass bei der zumutbaren Überwachung des Straßenbaums eine Schädigung entdeckt worden wäre (vgl. OLG Celle, NJW-RR 2013, 84) und in dessen Folge weitere Maßnahmen zum Schutz des Straßenverkehrs eingeleitet und die Schädigung des Eigentums der Kl. verhindert worden wäre, ist – entgegen dem angefochtenen Urteil – geführt.

An dem Baum war unstreitig bereits Totholz festgestellt und im April 2015 beseitigt worden. Zwar genügt allein das Vorhandensein von Totholz noch nicht für eine über die Sichtprüfung hinausgehende Prüfungspflicht. Totholz ist ein Defektsymptom, das auf verschiedenste Ursachen zurückgeführt werden kann und in erster Linie lediglich zur Beseitigung verpflichtet (vgl. dazu Senat, NVwZ-RR 2002, 746; OLG Köln, VersR 2010, 1328; OLG Hamm, NJW-RR 2010, 1614). Nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Gartenbauingenieur B sind aber weitere, im Rahmen einer Sichtprüfung erkennbare Symptome hinzugetreten, die Maßnahmen über die alleinige Sichtprüfung hinaus erforderten. Dieser hat in seinem Gutachten vom 31.8.2018 ausgeführt, es könne mit Sicherheit festgestellt werden, dass der auch auf den vorgelegten Fotos erkennbare Pilzfruchtkörper mehr als ein Jahr – wahrscheinlich eher drei Jahre – am Stamm vorhanden war. Dies begründet er nachvollziehbar mit den Wachstumsphasen und der Größe des Fruchtkörpers. Somit war der Pilz bereits bei der Baumschau im Juli 2015 vorhanden und, wie der Sachverständige in seiner Anhörung noch einmal nachvollziehbar bekräftigt hat und sich i.Ü. zwanglos aus den Fotos ergibt, bei einer ordnungsgemäß durchgeführten Baumschau vom Boden aus erkennbar. Dem steht die Aussage des Zeugen D nicht entgegen. Zwar kann seine Aussage, der Zunderschwammpilz könne innerhalb von 24 Stunden entstehen, im Grundsatz zutreffen. Dies gilt aber nach dem Sachverständigen nicht für die auf den Fotos erkennbare Größe/Schichtung. Dass der Zeuge die Defekte subjektiv nicht wahrgenommen hat, mag zutreffen. Dass sie objektiv nicht vorhanden und auch nicht erkennbar waren, kann der Aussage insbesondere mit Blick auf die vorliegenden Fotos hingegen nicht entnommen werden. Dass der weiter behauptete und aus den Fotos erkennbare Spechtanhieb zum Zeitpunkt der Baumschau durch abgestorbene Efeuranken verdeckt gewesen sein könnte, bleibt im Weiteren ohne Belang.

Die auffällige Belaubung und der Pilzfruchtkörper hätten eine eingehende Untersuchung erfordert. Dabei hätte die Bekl. die Defektanzeichen, wie zum Beispiel den hohlen Klang feststellen können. Mit dem Sachverständigen geht der Senat weiter davon aus, dass durch geeignete Sicherungsmaßnahmen der Ausbruch des Stämmlings hätte vermieden werden können.

Für die Kausalität zwischen der pflichtwidrig unterlassenen Kontrolle, die über die Sichtprüfung hinausgeht, und dem Baumsturz ist die Kl. im Grundsatz ebenfalls darlegungs- und beweisbelastet. Auch dieser Nachweis ist ihr gelungen. Die behauptete Baumschau am 30.7.2015 und das schädigende Ereignis am 10.9.2015 liegen zeitlich eng zusammen. Die Gründe des Bruchs – Baumzersetzung – und der Umstand, dass der Ast bei einzelnen nicht starken Windböen abgebrochen ist, sprechen ebenfalls für einen kausalen Sachzusammenhang.

Damit besteht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch der Kl.

3. Der Anspruch der Kl. besteht in der Wiederherstellung der zerstörten Sachen. Nach § 249 II 1 BGB ist der Ersatzanspruch auf Zahlung von Geld gerichtet.

3.1. Der geltend gemachte Wertersatz für das Kraftfahrzeug ist auf den Nettobetrag beschränkt.

Der Geschädigte eines Kraftfahrzeugsachschadens hat bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 II 1 BGB die Wahl, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der im Gegenzug nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufrieden gibt. Entscheidet sich der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht (zusätzlich) ersatzfähig. Der Geschädigte muss sich vielmehr an der gewählten Art der Schadensabrechnung festhalten lassen; eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig (BGH, NJW 2017, 1664).

Die Kl. hat sich hier für die fiktive Abrechnung auf Basis des Wiederbeschaffungswerts entschieden. Substanziierter Vortrag und Beweisantritt zur tatsächlichen Wiederbeschaffung, Reparatur in einer Werkstatt oder der tatsächlichen Eigenreparatur entsprechend den sachverständigen Feststellungen fehlt. Rechnet sie jedoch den Wiederbeschaffungswert fiktiv ab, so ist der Anspruch zwar ebenfalls auf den vollen Wiederbeschaffungsbetrag – Wiederbeschaffungswert abzüglich des erzielten oder erzielbaren Restwerts – gerichtet. Die Mehrwertsteuer darf sie gem. § 249 II 2 BGB jedoch nur geltend machen, wenn und soweit diese bei der Wiederherstellung angefallen ist (Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 249 BGB Rn. 102). Der Sachverständige ist bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts offenbar von der Differenzbesteuerung nach § 25a UStG ausgegangen. Ein entsprechender Anhalt dafür findet sich auf S. 2 des vorgelegten Gutachtens. Der Senat geht mangels weitergehenden Vortrags der Kl., aber auch aufgrund des fehlenden Bestreitens der Bekl., deshalb im Rahmen der Schadensschätzung (§ 287 ZPO) davon aus, dass die Besteuerung im Gebrauchtwagenmarkt bei einer (hypothetischen) Ersatzbeschaffung differenzbesteuert erfolgt (vgl. zum Ganzen BGH, NJW 2017, 1310). Damit ist ein Umsatzsteueranteil iHv 2,4% enthalten. Der Schaden der Kl. errechnet sich somit aus einem Brutto-Wiederbeschaffungswert abzgl. Brutto-Restwert von 2.100 Euro. Abzüglich des Umsatzsteueranteils von 49 Euro ergibt sich folglich der Netto-Wiederbeschaffungsaufwand von 2.051 Euro.

3.2. Eine Nutzungsausfallentschädigung steht ihr nicht zu. Die Nutzung eines Fahrzeugs muss dem Geschädigten unfallbedingt tatsächlich entzogen sein. Daran fehlt es, wenn er das Fahrzeug unrepariert weiternutzt oder es schon vor Ablauf der prognostizierten Reparaturdauer zurückerhält. Auch wer seine Wiederherstellungskosten fiktiv abrechnet, kann nicht etwa für die gedachte Dauer der Reparatur Nutzungsentschädigung verlangen, sondern nur für die infolge der Wiederherstellung (zB) tatsächlich angefallene Ausfallzeit. Sie erfordert daher einen Reparaturnachweis, d.h. der Geschädigte, der etwa eine Eigenreparatur vornimmt, muss sowohl die (teilweise) Wiederherstellung als auch deren Dauer konkret darlegen und gegebenenfalls nachweisen. Obergrenze der entschädigungsfähigen Nutzungsausfallzeit bildet hier stets die prognostizierte Reparaturdauer in einer Fachwerkstatt (Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 249 BGB Rn. 212). Entsprechender Vortrag der Kl., in welcher Zeit das Fahrzeug trotz Reparatur nicht zur Verfügung stand, liegt nicht vor und wäre nun auch als verspätet zurückzuweisen.

3.3. Die Sachverständigenkosten sind wie geltend gemacht erstattungsfähig. Bei Sachschäden erfolgt die Einschaltung eines privaten Sachverständigen in den allermeisten Fällen zur vorprozessualen Begutachtung des Unfallschadens. Zu diesem Zweck darf der Geschädigte grundsätzlich einen Sachverständigen seines Vertrauens beauftragen (Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 249 BGB Rn. 224).

3.4. Ferner ist eine Kostenpauschale zu erstatten. Soweit hinsichtlich solcher Kosten bei der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden regelmäßig von näherem Vortrag abgesehen wird und die Rechtsprechung dem Geschädigten eine Auslagenpauschale zuerkennt, auch wenn Anknüpfungstatsachen hierfür im konkreten Einzelfall nicht dargetan sind, ist dies dem Umstand geschuldet, dass es sich bei der Regulierung von Verkehrsunfällen um ein Massengeschäft handelt (vgl. Senat, NJW 1978, 2506 = VersR 1978, 278 [280] und Senat, BGHZ 178, 338 = NJW 2009, 910), bei dem dem Gesichtspunkt der Praktikabilität besonderes Gewicht zukommt. Eine generelle Anerkennung einer solchen Pauschale für sämtliche Schadensfälle ohne nähere Darlegung der getätigten Aufwendungen – etwa auch im Rahmen der vertraglichen Haftung – gibt es in der Rechtsprechung nicht (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2005 – 15 U 44/05, BeckRS 2006, 11668) und ist angesichts der unterschiedlichen Abläufe bei der jeweiligen Schadensabwicklung auch nicht gerechtfertigt (BGH, NJW 2012, 2267). Allerdings ist in der nachfolgenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zwanglos immer auch eine Pauschale – ohne weitere Begründung – gewährt worden. Da es sich hier auch um einen Kraftfahrzeugschaden handelt, kann im Rahmen des § 278 ZPO eine Pauschale iHv 20 Euro in Ansatz gebracht werden.

3.5. Das unter 3.3. Genannte gilt auch für die Rechtsanwaltskosten, die auch der Höhe nach nicht beanstandet werden. Der für die Gebühr maßgebliche Gegenstandswert (§ 13 RVG) bestimmt sich allerdings nach der objektiv berechtigten Forderungshöhe; soweit der Geschädigte den Anwalt (auch) zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, ist dies dem Schädiger nicht zuzurechnen (Freymann/Rüßmann in Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, § 249 BGB Rn. 237). Bei einer berechtigten Gesamtforderung von 2.658,15 Euro ermittelt sich ein vorgerichtlicher Vergütungsanspruch des Prozessbevollmächtigten der Kl. von 334,75 Euro (1,3 Gebühren zzgl. Pauschale von 20 Euro und Mehrwertsteuer).