OLG Koblenz, Beschl. v. 7.3.2018 – 1 U 1025/17

Sachverhalt

Die Kl. ist von Beruf Realschullehrerin und ist in einer integrierten Gesamtschule in Z. tätig. Seit Herbst 2014 war sie gehäuft und seit dem 16.3.2015 durchgängig dienstunfähig. Der Kl. wurde mit Schreiben der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) vom 8.6.2015 eine ärztliche Untersuchung wegen Feststellung der Dienstfähigkeit bei der Zentralen Medizinischen Untersuchungsstelle angekündigt. Am 26.7.2015 kam es gegen 14.30 Uhr zu einem Polizeieinsatz am Wohnort der Kl. Die Kl. und ihr Ehemann waren der Polizei aufgrund eines Einsatzes wegen häuslicher Gewalt vom 10.7.2015 bekannt. Am Abend des 26.7.2015 ging bei der Polizeiinspektion T ein Anruf des Nachbarn Lein. Dieser berichtete, dass die Kl. ihn attackiere und er Schlimmeres befürchte. Nachdem das Telefonat unterbrochen war, meldete sich der L nochmals bei der Polizeiinspektion T. Die Polizeibeamten M und P begaben sich gegen 18.40 Uhr zu der Wohnung der Kl. und ihres Ehemannes, wo sie von dem Ehemann der Kl. und den Nachbarn L erwartet wurden. Die Kl. war zwischenzeitlich von der Wohnung ihres Nachbarn zurückgekehrt und saß laut Polizeibericht in ihrer Wohnung auf dem Sofa. Die Kl. lehnte einen Alkoholtest ab. Beim Eintreffen der Polizeibeamten schrie die Kl. los, so dass laut Polizeibericht ein vernünftiges Gespräch mit der Kl. nicht zu führen war. Auf dem Boden neben der Kl. befand sich eine halbleere Flasche Pernod. Die Polizeibeamten ordneten sodann eine Untersuchung der Kl. im Klinikum Mutterhaus der B GmbH in T.an. Nachdem der verständigte Krankenwagen eingetroffen war, leistete die Kl. der Anordnung sich in diesen zu begeben, keine Folge, worauf die Polizeibeamten die Kl. ergriffen, in den Krankenstuhl setzten und in den Krankenwagen schoben. Während der Fahrt zum Krankenhaus wurde die Kl. durch den P an beiden Armen festgehalten. Im Klinikum erfolgte eine Untersuchung der Kl. durch die Ärztin für Psychiatrie, G. Beim Verlassen des Krankenhauses wurde durch PHK M angeordnet, die Kl. in polizeilichen Gewahrsam zu nehmen. Die Kl. weigerte sich hiergegen. Die Polizeibeamten verbrachten die Kl. sodann auf ihre Dienststelle. Dort ordnete PHK M die Untersuchung der Gewahrsamsfähigkeit der Kl.an. Diese Untersuchung wurde durch einen Facharzt für Sozialmedizin durchgeführt, der die Gewahrsamsfähigkeit der Kl. bejahte. Auf dem Untersuchungsbogen zur Gewahrsamstauglichkeit ist ua notiert, dass um 21.00 Uhr bei der Kl. eine Alkoholkonzentration von 3,22 und um 21.20 Uhr eine von 2,32 Promille festzustellen war. Nach Anhörung der Kl. im Wege eines Telefonats mit der Untersuchungsrichterin erließ diese gegen 20.30 Uhr eine Schutz-, Sicherungs- und Gewahrsamsverfügung nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rh-Pf (RhPfPOG). Die Kl. suchte am 18.8.2015 eine Gemeinschaftspraxis auf. Ausweislich der Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis stellte sich die Kl. dort wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Armes und der linken Schulter vor, die ihren Angaben zufolge im Rahmen eines Polizeieinsatz am 26.7.2015 entstanden seien. Am 7.10.2015 führte ein Arzt die Untersuchung der Kl. bei der Zentralen Medizinischen Untersuchungsstelle in M. durch. Ausweislich der Anlage zur gutachterlichen Stellungnahme der Zentralen Medizinischen Untersuchungsstelle vom 16.10.2015 bestand bei der Kl. zum Zeitpunkt der Untersuchung eine Dienstunfähigkeit. Zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit wurde eine stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung in einer Fachklinik für erforderlich gehalten. Die Kl. trat die Rehabilitationsmaßnahme in der Zeit vom 26.11.2015-17.12.2015 in der A.-Klinik in Bad K.an. Die Kl. stornierte ihren am 7.4.2015 gebuchten Urlaub zum 17.10.2015 kostenpflichtig am 1.9.2015. Der Kl. wurde der Transport im Krankenwagen mit Schreiben vom 19.10.2015 in Rechnung gestellt, des Weiteren die Notfallbehandlung im Klinikum M GmbH in T., die Kosten der Durchführung der Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit mit Schreiben vom 12.8.2015 sowie die Kosten der Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens durch PHK M mit Schreiben vom 19.10.2015. Die Kl. hat bei Gericht beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an die Kl. ein angemessenes Schmerzensgeld, 4.021,70 Euro sowie außergerichtliche Anwaltskosten iHv 1.171,67 Euro nebst Zinsen zu zahlen. In dem Verfahren vor dem VG in T. ist ein Anerkenntnisurteil ergangen, wonach aufgrund des Anerkenntnisses des Bekl. festgestellt worden ist, dass die Polizeibeamten am 26.7.2015 nicht berechtigt gewesen seien, gegenüber der Kl. unmittelbaren Zwang anzuwenden, nachdem sie im Klinikum M. von der Fachärztin für Psychiatrie, Frau Dr. G, untersucht worden sei.

Das LG hat den Bekl. verurteilt, an die Kl. ein Schmerzensgeld iHv 600 Euro, 180,44 Euro sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten iHv 147,56 Euro jeweils nebst Zinsen hieraus zu zahlen. Die Berufung der Kl., mit der sie die vollumfängliche Klagestattgabe begehrt, blieb ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

„…Das LG hat zu Recht der Kl. einen Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 253 BGB iVm § 839 BGB, Art. 34 GG sowie nach § 69 RhPfPOG zugesprochen (aus den unter b] dargelegten Gründen).

a) Das LG führt zutreffend aus, dass im Hinblick auf die Alkoholisierung der Kl. am Abend des 26.7.2015 die Verbringung der Kl. und Untersuchung in das Klinikum der B GmbH, Mutterkrankenhaus, in T., rechtmäßig gewesen sei. Nach § 14 I Nr. 1 RhPfPOG kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.

Zutreffend führt das LG aus, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben gewesen seien, weil beim Eintreffen der Polizei im Hause der Kl. eine halbe Flasche Pernod auf dem Fußboden der Wohnung gelegen habe, die Kl. alkoholisiert gewesen sei, die Polizei bereits an diesem Tage zum zweiten Male dort vorstellig gewesen sei und der Nachbar der Kl., Edo L, berichtet habe, dass es Streit mit der Kl. gegeben habe, die dieser auf eine Alkoholerkrankung der Kl. zurückführte. Bestätigt sei dies durch die Fachärztin für Psychiatrie, Frau Dr. med. G, die berichtet habe, dass bei der Kl. der Verdacht auf eine Alkoholerkrankung bestehe.

Die Kl. greift diese Ausführungen ohne Erfolg mit der Begründung an, die Ingewahrsamnahme durch die Polizeibeamten und Verbringung der Kl. in das Klinikum GmbH, M.-Krankenhaus, sei bereits rechtswidrig gewesen, weil die Ausführungen des LG zum Geschehensablauf, die Kl. sei den Aufforderungen der Polizeibeamten nicht nachgekommen, bereits fehlerhaft seien. Die Kl. hätte bei der Fahrt in das Krankenhaus nicht festgehalten werden müssen, weil sie freiwillig in das Polizeifahrzeug eingestiegen sei.

Der Nachbar der Kl., Edo L, hat, nachdem die Kl. ihn an diesem Tag zum zweiten Mal aufgesucht und nach seiner Darstellung ihn belästigt habe, die Polizei verständigt. Da die Fachärztin für Psychiatrie, Dr. med. G, die die Alkoholisierung der Kl. beim Eintreffen in das Krankenhaus in T. bestätigt hat, waren aus ex-ante Sicht der im Einsatz befindlichen Polizeibeamten die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme der Kl. gegeben, weil diese sich aufgrund ihrer Alkoholisierung aus Sicht der Polizeibeamten erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand bzw. hilfloser Lage befunden hat. Einer Beweiserhebung zu der in das Wissen des Ehemanns der Kl. gestellten Behauptung, sie sei freiwillig in das Polizeifahrzeug gestiegen, bedarf es nicht. Die Kl. behauptet zu diesem Zeitpunkt selbst keine Anwendung des unmittelbaren Zwangs durch die Polizeibeamten.

b) Das LG ist zu Recht zu der Überzeugung gelangt, dass die polizeilichen Maßnahmen der beiden Polizeibeamten P und M gegenüber der Kl. am 26.7.2015 ab dem Zeitpunkt rechtswidrig gewesen seien, nachdem die Kl. im Krankenhaus der Borromäerinnen (Mutterkrankenhaus) von der Fachärztin für Psychiatrie, Dr. med. G, untersucht worden war und laut dem Untersuchungsbericht ab ca. 19.40 Uhr bis 20.00 Uhr mangels Fremd- oder Eigengefährdung hätte entlassen werden müssen, anstatt die Kl. zu Unrecht ab ca. 20.00 Uhr am 26.7.2015 bis zum darauffolgenden Tag am 27.7.2015 in Polizeigewahrsam zu belassen.

Die Fachärztin für Psychiatrie, Dr. med. G, hat hierzu vor dem LG bekundet, die Kl. sei am Sonntagabend von der Polizei gegen 19.40 Uhr in das Krankenhaus gebracht worden. Hintergrund hierfür sei wohl gewesen, dass es Streitigkeiten zu Hause gegeben habe. Ein Nachbar solle die Polizei informiert haben. Sie, die Zeugin, habe der Kl. Hilfe angeboten und eine stationäre Aufnahme angeboten, was von der Kl. abgelehnt worden sei. Die Kl. habe geäußert, dass sie nach Hause wolle. Sie habe gesagt, sie sei Lehrerin und freue sich auf die Ferien, die unmittelbar bevor gestanden hätten. Die Patientin habe ihr damit eine Perspektive geschildert. Bei dem Gespräch mit der Kl. habe sie, die Zeugin, den Verdacht einer Alkoholerkrankung der Kl. gehabt. Die Kl. habe jede Behandlung abgelehnt. Anlässlich des Gesprächs habe die Kl. einen wachen Eindruck vermittelt und sei orientiert gewesen. Die Kl. habe keinen verwirrten Eindruck gemacht. Sie sei weder akut psychotisch gewesen noch habe eine Eigen- oder Fremdgefährdung vorgelegen.

Das LG ist aufgrund der Aussage der Fachärztin für Psychiatrie, Dr. med. G, nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangt, dass die Anwendung unmittelbaren Zwangs nach der von der Fachärztin für Psychiatrie Dr. med. G vorgenommen Untersuchung der Kl. rechtswidrig gewesen sei. Die Kl. hätte aus dem Polizeigewahrsam entlassen werden müssen.

3) Die Kl. führt mit ihrer Berufung ohne Erfolg an, dass das LG die Höhe des Schmerzensgeldes nicht ausreichend hoch bemessen habe.

a) In der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt sich die Spanne des festgesetzten Schmerzensgeldes bei rechtswidriger Unterbringung einer Person in einem psychiatrischen Krankenhaus, soweit ersichtlich, zwischen 500 Euro (OLG Koblenz, Urt. v. 5.11.2003 – 1 U 611/03, BeckRS 2003, 18061 bei rechtswidriger Unterbringung für max. 18-24 Stunden) und 25.000 Euro (OLG Karlsruhe, VersR 2016, 254 = BeckRS 2015, 20407 Rn. 54 vgl. auch LG Marburg, NJW-RR 1996, 216 = VersR 1995, 1199 mit Darstellung der Rechtsprechung, wonach bei einer einstweiligen rechtswidrigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Schmerzensgelder zwischen 5.000 DM und 30.000 DM je nach Dauer der Unterbringung zugesprochen wurden).

Das LG hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 5.11.2003 (Urt. v. 5.11.2003 – 1 U 611/03, BeckRS 2003, 18061) unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ingewahrsamnahme der Kl. über Nacht auf der Polizeidienststelle für die Dauer von ca. 13 Stunden einen weniger gravierenden Eingriff als die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für die Dauer von bis zu 24 Stunden darstellt, ein Schmerzensgeld von 400 Euro als angemessen und ausreichend angesehen.

 

Leitsätze

1. Die Polizei ist berechtigt, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, wenn das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet.

2. Stellt eine Fachärztin für Psychiatrie nach Ingewahrsamnahme der Person und von ihr vorgenommener Untersuchung fest, dass durch diese Person weder eine Eigen- noch Fremdgefährdung ausgeht, so ist die weitere Ingewahrsamnahme der Person amtspflichtwidrig.

3. Die Ingewahrsamnahme einer Person über Nacht auf der Polizeidienststelle für die Dauer von ca. 13 Stunden stellt einen weniger gravierenderen Eingriff als die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für die Dauer von bis zu 24 Stunden dar. Hierfür ist unter Berücksichtigung der obergerichtlichen Rechtsprechung ein Schmerzensgeld von 400 Euro angemessen, aber auch ausreichend (in Anknüpfung an Senat, OLG-Report Koblenz = BeckRS 2003, 18061; OLG Karlsruhe, VersR 2016, 254 = BeckRS 2015, 20407 Rn. 54; LG Marburg, NJW-RR 1996, 216 = VersR 1995, 1199).