Amtshaftung der Europäischen Union bei einem Verstoß gegen Unionsrecht

Deutsches Staatshaftungsrecht kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Amtspflichtverletzung einem Träger der deutschen öffentlichen Gewalt zurechenbar ist. Wird der Einzelne hingegen durch eine Rechtsverletzung geschädigt, die von Organen oder Bediensteten der Europäischen Union herrührt, stehen ihm weder Ansprüche aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG noch aus enteignungsgleichem oder aufopferungsgleichem Eingriff zu. Die Haftung der Union richtet sich vielmehr nach Art. 340 AEUV (Art. 288 EG a.F.), der zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung unterscheidet und dem nach Art. 41 Abs. 3 EU-Grundrechtecharta Grundrechtsqualität zukommt.

 

Die außervertragliche Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) wird auch als Amtshaftung der Union bezeichnet. In der Tat weist der Haftungstatbestand Parallelen zu § 839 BGB auf. Anders als das deutsche Amtshaftungsrecht verzichtet der unionsrechtliche Amtshaftungstatbestand jedoch auf die Überleitung einer persönlichen Haftung des Amtsträgers auf die Körperschaft. Nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) haftet die Union vielmehr unmittelbar. Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) erfordert außerdem keine Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht. Zwar muss ein Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die auch den Schutz des Betroffenen bezweckt, vorliegen. Die Anforderungen an den Drittschutzcharakter der Norm sind im Unionsrecht aber wesentlich geringer als im nationalen Amtshaftungsrecht. Im Unterschied zum deutschen Recht kennt das Unionsrecht außerdem eine Haftung für legislatives Unrecht. Schließlich verzichtet der EuGH bei der unionsrechtlichen Amtshaftung auf das Erfordernis einer schuldhaften Rechtsverletzung.

 

Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) enthält nur einen „Rumpftatbestand“ mit wenigen subsumtionsfähigen Merkmalen. Die Vorschrift lautet:

   

„Im Bereich der außervertraglichen Haftung ersetzt die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“

  

Die Verweisung auf die den Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze wirft erhebliche Auslegungsprobleme auf. Nach allgemeiner Auffassung enthält diese Verweisung eine Ermächtigung des EuGH zur Rechtsfortbildung und Entwicklung unionsrechtlicher Haftungskriterien. In seiner Spruchpraxis nimmt der EuGH dabei nur selten rechtsvergleichende Betrachtungen über die Haftungssysteme der Mitgliedstaaten vor, sondern entwickelt im Einzelfall einen eigenen richterrechtlichen Haftungstatbestand. Die Rechtsprechung zur europäischen Amtshaftung hat sich dadurch inzwischen so sehr verselbstständigt, dass zahlreiche Grundsätze des nationalen Haftungsrechts nur noch eingeschränkte oder gar keine Beachtung mehr finden.

 

 


 

A. Materiell-rechtliche Haftungsvoraussetzungen

B. Prozessuale Durchsetzung des Amtshaftungsanspruchs gegen die Union

C. Haftung der Europäischen Zentralbank

D. Haftung bei rechtmäßigem Handeln und vertragliche Haftung

 

A. Materiell-rechtliche Haftungsvoraussetzungen

 

I. Ausübung einer Amtstätigkeit durch ein Organ oder einen Bediensteten der Union

 

1. Organe und Bedienstete der Union

 

2. Amtstätigkeit

 

II. Rechtsverletzung

 

1. Administratives Unrecht

 

2. Normatives Unrecht

 

3. Judikatives Unrecht

 

III. Maß der Rechtsverletzung

 

IV. Rechtswidrigkeit

 

V. Zurechenbarkeit der Rechtsverletzung

 

VI. Verschulden

 

VII. Schaden und Kausalität

 

1. Schadensersatz

 

2. Kausalität

 

VIII. Verjährung

 

 

I. Ausübung einer Amtstätigkeit durch ein Organ oder einen Bediensteten der Union

 

1. Organe und Bedienstete der Union

 

Unionsorgan i. S. d. Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) sind in erster Linie die in Art. 13 EUV (Art. 7 EG a.F.) genannten Organe, also das Europäische Parlament, der Rat, die Kommission, der Rechnungshof und der EuGH. In der Praxis sind bislang nur Ansprüche wegen Maßnahmen des Rates oder der Kommission relevant geworden. (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 684)

 

Der Organbegriff des Art. 340 AEUV (Art. 288 EG a.F.) ist jedoch weiter als der des Art. 13 EUV (Art. 7 EG a.F.) und umfasst alle Einrichtungen, die „im Namen und für Rechnung“ der Union handeln. (Vgl. Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 8 mit Hinweis auf EuGH Rs. C-370/89, Slg. 1992, I-6211, Tz. 16 – SGEEM und Etroy/EIB.). Umstritten ist die Organqualität von Ausschüssen, die durch den Vertrag selbst oder durch Handlungen der Organe eingesetzt worden sind. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 62.). Eine bloß beratende Funktion schließt jedenfalls eine Haftung der Union für den Ausschuss nicht aus, da auch durch Beratung einem Rechtsträger ein Schaden zugefügt werden kann. (V. Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 62.)

 

Keine Organe im Sinne des Art. 340 AEUV (Art. 288 EG a.F.) sind Fraktionen des Europäischen Parlaments. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Fraktionstätigkeit kann deshalb allein vor den nationalen Gerichten und nur gegenüber den handelnden Personen geltend gemacht werden. (Vgl. EuGH, Slg. 1990, I-1183, Tz. 14 f. – Le Pen; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 62.)

  

Bedienstete sind – vergleichbar den „Beamten im haftungsrechtlichen Sinn“ im deutschen Amtshaftungsrecht – die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union. (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 684; Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 9) Zu den Bediensteten zählen auch Beliehene. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 32.) In diesem Rahmen haftet die Union auch für nationale Behörden, die auf Weisung der Kommission Entscheidungen treffen. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 63; Detterbeck, AöR 125, 202, 209.)

 

2. Amtstätigkeit

 

Die „Amtstätigkeit“ ist wie im deutschen Amtshaftungsrecht im Sinne eines „hoheitlichen Handelns“ zu interpretieren. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 33; für ein weiteres Begriffsverständnis von der Groeben/Schwarze – Gilsdorf/Niejahr, Art. 288 EG, Rdn. 28) Das haftungsrelevante Verhalten umfasst aktives Handeln und – sofern eine Rechtspflicht zum Handeln besteht – auch das Unterlassen. (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 685; Detterbeck, AöR 125, 202, 210.)

 

Unter den Begriff der Amtstätigkeit fällt jedes Verhalten der Organe oder der Bediensteten der Union, das eine „unmittelbare innere Beziehung“ zu den von den Organen wahrzunehmenden Aufgaben aufweist. (Detterbeck, AöR 125, 202, 210; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 65.) Handlungen der Organe sind jedenfalls insoweit Amtshandlungen, als sie die im EU- und AEUV-Vertrag eingeräumten Kompetenzen wahrnehmen. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 64. f.) Bei Beamten oder anderen Bediensteten fehlt es dementsprechend an einer Amtstätigkeit, wenn die schadenstiftende Handlung außerhalb oder nur bei Gelegenheit der Amtstätigkeit erfolgt. Es reicht gerade nicht aus, dass die schädigende Handlung während des Dienstes oder am Dienstort erfolgt ist. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 66.)

 

Für Schäden, die Beamte oder Bedienstete außerhalb der Amtstätigkeit verursachen, haften diese persönlich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen. (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 668.) Die Haftung richtet sich dann nach dem Recht des Tatorts. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 38.)

 

II. Rechtsverletzung

 

Anders als bei § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG knüpft die Haftung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) nicht an die Verletzung einer (dem Beamten obliegenden) Amtspflicht, sondern schlicht an die Verletzung von Unionsrecht an. Allerdings reicht der bloße Verstoß gegen Unionsrecht nicht aus. Vielmehr muss die verletzte Norm dazu bestimmt sein, die Interessen des Betroffenen zu schützen (vgl. hierzu von der Groeben/Schwarze – Gilsdorf/Niejahr, Art. 288 EG, Rn 41 ff.) Dieser Schutznormgedanke hat haftungseinschränkende Funktion (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 698.). Zudem muss die Unionsrechtsverletzung gerade gegenüber dem Geschädigten erfolgt sein (EuGH (Fünfte Kammer), Urteil vom 13.9.2017 – C-350/16 P (Pappalardo/Kommission).

 

gestellt: Ein Individualschutz wird auch dann angenommen, wenn die Norm in erster Linie allgemeine Interessen schützt und nur reflexartig auch individuelle Interessen erfasst. (EuGH Slg. 1967, 332, 354 – Kampffmeyer.) Schutznormen finden sich sowohl im EU-Vertrag als auch im sekundären Unionsrecht und können sich überdies aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. (Weiterführend Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 70 ff.; Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 699 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung.) Relevant sind insbesondere:

 

  • der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung;
  • das Eigentumsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb;
  • der Grundsatz des Vertrauensschutzes;
  • der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit;
  • das Prinzip der Rechtssicherheit. 

Ferner können schwere Verfahrensfehler der Kommission eine Schutznormverletzung darstellen. Dies gilt etwa für die Verletzung des Anhörungsrechts eines Unternehmens aus Art. 18 FKVO durch die Kommission. (EuGH, Urt. v. 16.07.2009, Rs. C-440/07 P; EuG, Urt. v. 11.07.2007 – Rs. T-351/03 – Schneider Electric III; zu den vorangegangenen Entscheidungen in Sachen Schneider Electric vgl. die instruktiven Darstellungen bei Seitz, EuZW 2007, 659 f. und Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741.) Auch Fehler der Kommission bei der ökonomischen Analyse eines Unternehmenszusammenschlusses können grundsätzlich eine Schutznormverletzung darstellen. (EuG, Urt. v. 11.07.2007 – Rs. T-351/03, Tz. 129 – Schneider Electric III). 

 

Die Rechtsverletzung kann sich schließlich auch aus einem Verstoß gegen völkerrechtliche Verträge ergeben. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 73; Reinisch, EuZW 2000, 42, 46.) Umstritten ist allerdings, ob auch die Berufung auf GATT-widriges Verhalten der Union möglich ist. Der EuGH hat hierzu festgestellt, dass die WTO-Übereinkünfte wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Vorschriften gehören, an denen die Rechtmäßigkeit von Handlungen von Unionsorganen gemessen werden kann (Kritisch hierzu Maczynski, EuZW 2006, 459, 461. ) ; nur ausnahmsweise, wenn die Union eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die Unionshandlung ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist, können die entsprechenden WTO-Vorschriften als Prüfungsmaßstab herangezogen werden. (EuGH EuZW 2003, 758 – Biret International; vgl. hierzu auch von der Groeben/Schwarze – Gilsdorf/Niejahr, Art. 288 EG, Rdn. 39) Diese neuere Rechtsprechung wurde von Teilen der Literatur begrüßt. (Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 18.) Inzwischen hat der EuGH von dieser Tendenz allerdings wieder Abstand genommen. (EuGH EuZW 2005, 214 ff. – Van Parys, vgl. hierzu auch die Urteilsanmerkung von Steinbach, EuZW 2005, 331 ff.)

  

Die Verletzungshandlung als solche kann in einem Verwaltungshandeln, der Rechtsetzung oder einer Rechtsprechungstätigkeit liegen: (Detterbeck AöR 125, 202, 211.) Beim administrativen Unrecht geht es um den Erlass oder pflichtwidrigen Nichterlass eines Rechtsakts oder die Vornahme oder Nichtvornahme von Realakten. Bei rechtswidrigen Rechtsetzungsakten spricht man von normativem Unrecht. Judikatives Unrecht schließlich liegt bei einer fehlerhaften Rechtsprechung des EuGH oder des EuG vor.

 

1. Administratives Unrecht

 

Administratives Handeln (oder Unterlassen) ist dann rechtswidrig, wenn es gegen irgendeine Rechtsnorm verstößt; insbesondere kommt es auf den Rang der verletzten Norm nicht an, da für das administrative Handeln jeder Rechtssatz verbindlich ist. Auch Realakte und Maßnahmen ohne rechtlichen Entscheidungsgehalt können eine Haftung auslösen. (Grabitz/Hilf- v.Bogdandy, Art. 288 EGV Rdn. 55 ff. und 77 jeweils m. w. N.)

 

2. Normatives Unrecht

 

Im Unterschied zum deutschen Recht haftet die Union grundsätzlich auch für Schäden infolge rechtswidriger Rechtsetzungsakte. Die Gründe hierfür sind in erster Linie rechtspolitischer Art. Im Wege der Haftung der Union für legislatives Unrecht sollen Defizite ausgeglichen werden, die in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht oder nicht in dieser Schärfe bestehen: Zum einen sehen die europäischen Verträge keinen ausreichenden Rechtsschutz gegen rechtswidrige Verordnungen vor. Zum anderen weisen die europäischen Rechtsetzungsorgane derzeit keine ausreichende demokratische Legitimation auf und werden vom Europäischen Parlament mangels der erforderlichen Be­fugnisse bislang nur partiell ausreichend kontrolliert. (Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 692.)

 

Die Erfolgsaussichten von Schadensersatzklagen wegen normativen Unrechts sind allerdings nur sehr schwer abzuschätzen. Nicht ohne Grund wird deshalb empfohlen, entsprechende Klagen nur dann zu erheben, wenn zum einen die Rechtswidrigkeit offenkundig und der betroffene Personenkreis klar abgrenzbar ist und zum anderen mit der Klage weniger die Erlangung von Schadensersatz als vielmehr eine Warnung der Unionsorgane bezweckt wird, nicht mit ihrem rechtswidrigen Verhalten fortzufahren. ( Gündisch/Wienhues, S. 152.).

 

3. Judikatives Unrecht

 

Die Union haftet schließlich für eine fehlerhafte Rechtsprechungstätigkeit des EuGH und des EuG, auch wenn freilich nur die Tätigkeit des EuG (Für die Bejahung einer Haftung der Union für offenkundig rechtswidrige Entscheidungen des EuG auch Kremer, NJW 2004, 480, 481) praktische Bedeutung erlangen wird, weil der EuGH kaum eine eigene Entscheidung als rechtswidrig beurteilen (In seinen Schlussanträgen in der Rs C-185/95 P – Baustahlgewerbe, Tz. 65 ff.,äußerte GA Léger die Ansicht, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 288 EG wohl auch auf den EuGH und das EuG erstrecke; zum Meinungsstand in der Lit. vgl. auch Wegener, EuR 2002, 785, 790, Fn 24) und daraus Schadensersatzansprüche zuerkennen wird. (Vgl. Detterbeck, AöR 125, 202, 212; Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 23).

 

 

 

III. Maß der Rechtsverletzung

 

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine außervertragliche Haftung ferner nur ausgelöst werden, wenn eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen (In seiner jüngsten Rspr. nimmt das EuG vom Kriterium der Höherrangigkeit jedoch Abstand, vgl. EuG, Rs. T-47/03, Tz. 234 – José Maria Sison) , dem Schutz des Einzelnen dienenden Rechtsnorm vorliegt. (EuGH Slg. 1971, 975, 984 – Schöppenstedt.) Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH findet dieses Merkmal, das ursprünglich im Rahmen der Haftung für legislatives Unrecht entwickelt wurde, nicht nur auf alle generellen, sondern auch auf alle einzelfallbezogenen Akte Anwendung, soweit das entscheidende Organ einen Ermessensspielraum hat. (EuGH Urteil v. 4.7.2000, Rs.C – 352/98 – Laboratoires pharmaceutiques Bergaderm; vgl. dazu Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 84 f. m. w. N.) Die damit einhergehende Haftungsbeschränkung gilt also nicht, wenn das Organ keinen Gestaltungsspielraum hatte, mithin eine zumindest faktisch gebundene Entscheidung zu treffen war. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 84. f.)

 

Die genaue Tragweite des Merkmals der „hinreichend qualifizierten Verletzung des Unionsrechts“ zu bestimmen, bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Eine solche Verletzung liegt dann vor, wenn das handelnde Organ die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat. ( EuG EuZW 1996, 121, 123, Tz. 32; EuGH NVwZ 1992, 1077, 1078, Tz. 12 – Mulder; EuGH Rs. C-472/00 P, Tz. 26 – Fresh Marine; EuGH Slg 2005 I-6357 Rdn. 63 – CEVA Santé Animale SA). Insofern besteht eine Parallelisierung zur Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Unionsrecht. (Grabitz/Hilf – v. Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 84 f.) Für die Bestimmung einer hinreichend qualifizierten Verletzung des Unionsrechts sind vor allem die folgenden Kriterien entscheidend:

  •  die Bedeutung der verletzten Norm;
  • die Zahl der von der rechtswidrigen Norm Betroffenen;
  • die Höhe des Schadens;
  • das Fehlen einer hinreichenden Begründung für das Verhalten der Unionsorgane (Vgl. Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 86 ff. m. w. N.). 

Der mit der Verletzung einhergehende Schaden darf außerdem nicht über die Grenzen der wirtschaftlichen Risiken hinausgehen, die eine Betätigung in dem betreffenden Wirtschaftsfeld üblicherweise mit sich bringt. (EuGH NVwZ 1992, 1077, 1078, Tz. 13 – Mulder.) Teilweise wird schließlich auch geprüft, ob die Grenze zur Willkür erreicht ist. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 44.) Im Einzelnen fehlt es der Rechtsprechung insgesamt an einer klaren Linie, die eine hinreichende Systematisierung der Kriterien zuließe. (Kritisch zu den fehlenden dogmatischen Grundlagen der Rechtsprechung des EuGH deshalb auch das überwiegende Schrifttum; vgl. etwa Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 45; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 88; Gündisch/Wienhues, S. 152.).

 

 

IV. Rechtswidrigkeit

 

Bei einem Verstoß gegen individualschützendes Unionsrecht muss die Rechtswidrigkeit nicht gesondert geprüft werden; sie ist bei unionsrechtswidrigem Handeln regelmäßig indiziert. (Vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 40.).

 

 

V. Zurechenbarkeit der Rechtsverletzung

 

Voraussetzung einer Haftung ist, dass das schädigende Unrecht der Ge-meinschaft zugerechnet werden kann. Dies ist zu verneinen, wenn für die Maßnahme letztendlich der Mitgliedstaat verantwortlich ist, weil dessen Organe oder Behörden bei der Umsetzung oder Ausführung der unionsrechtlichen Vorgabe fehlerhaft gehandelt und damit eine selbstständige Ursache für die Rechtswidrigkeit gesetzt haben. In diesem Fall kommt eine Haftung des Mitgliedstaats in Betracht. (Vgl. dazu im einzelnen oben Rdn. 1175) Ferner ist eine Zurechnung dann nicht möglich, wenn die fehlerhafte nationale Maßnahme schon bestand, bevor sie unionsrechtlich angeordnet wurde. (Grabitz/Hilf – v. Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 106 m. w. N.) Der EuGH prüft die Frage der Zurechenbarkeit der Rechtsverletzung zumeist bereits bei der Zulässigkeit der Klage. (EuGH NVwZ-RR 1992, 1077 – Mulder; kritisch hierzu Calliess/Ruffert – Cremer, Art. 235 EG, Rdn. 7.).

 

 

VI. Verschulden

 

Auf ein Verschulden der handelnden Organe oder Bediensteten der Union kommt es nicht an. (Ein Verschulden nicht für erforderlich halten Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 110 m. w. N. aus der Rspr. und Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), nach deren Meinung das Verschulden in der qualifizierten Rechtswidrigkeit enthalten ist, S. 718; so auch Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 47; vgl. auch: Reinisch, EuZW 2000, 42, 50.) In der Rechtsprechung des EuGH findet das Verschuldenskriterium seit längerem keine Erwähnung mehr. (In seiner Entscheidung in der Rs. C-267/82, Slg. 1986, 1907, Tz. 33 – Développement SA und Clemessy/Kommission hatte der EuGH diese Frage ausdrücklich offen gelassen). Dem hat sich das EuG angeschlossen. (Siehe hierzu Rechtsprechungsanalyse bei Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 110.).

 

 

VII. Schaden und Kausalität

 

1. Schadensersatz

 

Die außervertragliche Haftung umfasst jeden Nachteil, den der Betroffene durch ein bestimmtes Ereignis an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erleidet. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 100.) Ersatzfähig sind alle Vermögensschäden. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 100.) Hierzu gehören zunächst alle unmittelbaren Vermögenseinbußen und grundsätzlich auch der entgangene Gewinn. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 50) Ersatzfähig sind ferner immaterielle Schäden. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 103; Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 30) Vermögenseinbußen, die auf typische wirtschaftliche Risiken des jeweiligen Wirtschaftssektors zurückzuführen sind, werden hingegen nicht anerkannt. (EuGH NVwZ 1992, 1077, 1078, Tz. 9; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 102.) Der Schaden wird nach der Differenzhypothese berechnet. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 104; Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 29. ) Es ist ein Vergleich des tatsächlich bestehenden Zustands mit dem Zustand anzustellen, der bestehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Dabei ist gegebenenfalls eine Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen. Neben dem Geldanspruch wird grundsätzlich auch ein Zinsanspruch anerkannt. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 53; Detterbeck, AöR 125, 202, 218; zur Höhe des Zinssatzes vgl. Calliess/Ruffert – Ruffert Art. 288 EG, Rdn. 31) Ein Mitverschulden des Geschädigten kann zum Ausschluss bzw. zur Minderung des Ersatzanspruchs führen. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 55 ff; Calliess/Ruffert – Ruffert, Art. 288 EG, Rdn. 32)

 

Bei Klageeinreichung noch nicht entstandene Schäden sind ersatzfähig, soweit sie unmittelbar bevorstehen und mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar sind. Beziffert der Kläger den Schaden dementsprechend erst während des Prozesses, so liegt hierin keine unzulässige Klageänderung. (EuGH NJW 1976, 2072, 2073)

 

Der Schadensersatzanspruch kann auf Folgenbeseitigung, Geldersatz und ausnahmsweise auf Naturalrestitution gerichtet sein. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 112.) Eine Naturalrestitution ist durch Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F.) nicht ausdrücklich ausgeschlossen, ist aber problematisch, weil das Gericht nicht ohne Weiteres in die Kompetenzbereiche der anderen Unionsorgane eingreifen darf. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 52.) Der Kläger kann mit der Schadensersatzklage hingegen keine Nichtigerklärung der Amtshandlung eines Organs erzwingen. Eine Verurteilung von Unionsorganen zur Vornahme oder Aufhebung von Amtshandlungen kann nur im Wege der Untätigkeitsklage gem. Art. 265 AEUV (Art. 232 EG a.F.) oder der Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV (Art. 230 EG a.F.) erfolgen.

 

2. Kausalität

 

Zwischen dem fehlerhaften Handeln oder Unterlassen und dem Schaden muss außerdem ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang bestehen. (EuGH BayVBl. 2003, 142, 143; Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 49, 54.) Der EuGH geht hierbei von einer weit gefassten Adäquanztheorie aus. Kein Zurechnungszusammenhang besteht, wenn der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 49.).

 

 

VIII. Verjährung

 

Ansprüche aus außervertraglicher Haftung der Union verjähren gem. Art. 46 Satz 1 EuGH-Satzung in fünf Jahren. Obwohl es sich hierbei auf den ersten Blick um eine materiell-rechtliche Bestimmung handelt, wird die Verjährungsfrist prozessual als eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Schadensersatzklage behandelt. (EuG Beschluss v. 4.8.1999 Rs T – 106/98 – Fratelli Murri; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 111; für anspruchausschließende Einrede: Núñez Müller, EuZW 1999, 611 f.) Es handelt sich aber um eine echte Einrede, die nicht von Amts wegen geprüft wird. (EuGH Slg. 1989, 1553, 1586; Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 682.)

 

Die Verjährung beginnt erst, wenn alle Voraussetzungen, von denen die Ersatzpflicht abhängt, erfüllt sind und sich der zu ersetzende Schaden konkretisiert hat. (EuGH Slg. 2007, I-2941Rn. 29; EuG Urteil v. 25.11.1998, Tz. 31 Rs. T – 222/97 – Steffens; EuG Urt. v. 11.01.2002 Rs. T-174/00, Tz. 38 – Biret International; EuG Urt. v. 21.04.2005 Rs. T-28/03, Tz. 59 – Holcim). Auf eine Kenntnis des Geschädigten kommt es nicht an. (EuGH Slg. 2002, I-6565 Rn. 31; Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 681.) Zinsansprüche sind ohne Einfluss auf die Verjährungsfrist. (Núñez Müller, EuZW 1999, 611 f.) Der für den Verjährungsbeginn erforderliche konkretisierte Schaden tritt bei der Haftung für normatives Unrecht nach der Rechtsprechung des EuG bereits mit Inkrafttreten der qualifiziert rechtswidrigen Norm ein. (Z.B. bei sog. Milchquotenfälle: EuG Urteil v. 25.11.1988 Rs. T – 222/97 – Steffens.) Die Verjährung wird durch Einreichung einer Klageschrift oder dadurch unterbrochen, dass der Geschädigte seinen Schadensersatzanspruch gegenüber dem zuständigen Organ der Union geltend macht, Art. 46 Satz 2 EuGH-Satzung. Dabei kann die Verjährungsunterbrechung nur durch den jeweiligen Anspruchsinhaber selbst herbeigeführt werden; Musterprozesse haben auf die Verjährung anderer Verfahren keine Auswirkung. (Núñez Müller, EuZW 1999, 611, 614.) Bei fortgesetzten Schädigungen ist die Verjährung nicht allein vom ersten Schadenseintritt ab zu berechnen, (EuG Slg. 1998, II-4175 Rdn. 32 – Steffens.) der nach deutschem Recht maßgebliche Gedanke der Schadenseinheit findet keine Anwendung.

 

  

 

B. Prozessuale Durchsetzung des Amtshaftungsanspruchs gegen die Union

 

 

I. Zulässigkeit der Klage

 

1. Zuständiges Gericht und Rechtsweg

 

2. Ordnungsgemäße Klageerhebung

 

3. Klagebefugnis

 

4. Vorverfahren

 

5. Klagefrist und Verjährung

 

6. Rechtsschutzbedürfnis

 

a) Rechtsschutzmöglichkeiten des Unionsrechts

 

b) Vorrang nationaler Rechtsbehelfe

 

aa) Ausschließliche Verantwortlichkeit der Union

 

bb) Ausschließliche Verantwortung des Mitgliedstaates

 

cc) Gemeinsame Verantwortlichkeit

 

7. Aktivlegitimation

 

8. Passivlegitimation

 

II. Beweisführung und Beweislast

 

1. Beweisverfahren vor dem EuG

 

a) Darlegungs- und Beweislast; Ermittlung des Streitstoffs

 

b) Beweismittel

 

c) Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

 

2. Beweisverfahren beim EuGH

 

III. Rechtsmittel

 

1. Statthaftigkeit

 

2. Rechtsmittelbefugnis

 

3. Rechtsmittelfrist

 

4. Rechtsmittelverfahren

 

IV. Abschließende Entscheidung und Vollstreckung

 

 

I. Zulässigkeit der Klage

 

1. Zuständiges Gericht und Rechtsweg

 

Für Amtshaftungsklagen gem. Art. 268, 340 Abs. 2 AEUV (Art. 235, 288 Abs. 2 EG a.F) ist das Gericht der Europäischen Union (EuG) zuständig, Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 268 AEUV (Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 EG i.V.m. Art. 235 EG a.F). (Mit Ratsbeschluss 88/591 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (nunmehr das Gericht der Europäischen Union) vom 14.10.1988, ABl. EG 1988 Nr. L 319/1 ist die vormalige Zuständigkeit des EuGH nach Art. 178 EGV (alt) auf das EuG übergeleitet worden, vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 6) Die nationalen Gerichte sind ausnahmslos unzuständig; auch ein Vorverfahren vor einem nationalen Gericht, in dem die Rechtswidrigkeit des Handelns eines Organs der EU geprüft werden soll, ist unzulässig. (EuGH EuZW 2003, 54. – First und Franex. )

 

2. Ordnungsgemäße Klageerhebung

 

Die Klageschrift muss den Anforderungen der Art. 43 f. der Verfahrensordnung des Gerichts (EuG-VfO) bzw. der Art. 37 f. VerfO-EuGH i.V.m. Art. 21 EuGH-Satzung genügen. Dementsprechend hat sie die Anträge des Klägers zu enthalten und den Streitgegenstand unter Darstellung der Klagegründe zu bezeichnen. Die wesentlichen haftungsbegründenden Tatsachen sind im Sinne einer schlüssigen Darlegung substantiiert vorzutragen, sodass der Erfolg der Klage zumindest als möglich erscheinen muss. (EuGH Slg. 1990, 2181 Rdn. 13 ff. – Asia Motor France; Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 17) Auch wenn der EuGH in verschiedenen Urteilen an die Erfüllung dieser Darlegungspflicht nur relativ geringe Anforderungen gestellt hat, (EuGH Slg. 1998, II-4073 – Team Srl) ist der Kläger gut beraten, so präzise wie möglich zum Schaden und zur Kausalität vorzutragen. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 32)

 

Sofern sich die Höhe des Schadens zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht beziffern lässt, kann der Kläger zunächst die Feststellung der Haftung dem Grunde nach beantragen; hierüber wird gegebenenfalls durch ein Grundurteil entschieden. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 33) Sobald der Schaden feststeht, kann der Feststellungsantrag in einen Leistungsantrag umgeändert (EuGH NJW 1976, 2072, 2073) bzw. der ersatzfähige Schaden durch ein weiteres Urteil festgesetzt werden. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 18m. w. N. aus der Rspr) Die Klageschrift muss bei einem Feststellungsantrag neben den Darlegungen zur Rechtsverletzung vor allem Angaben enthalten, die den unmittelbar bevorstehenden Eintritt eines Schadens als hinreichend sicher erscheinen lassen. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 33)

 

Ob eine präventive Unterlassungsklage im Fall einer drohenden, mithin noch nicht eingetretenen Rechtsverletzung nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F) zulässig ist, hat der EuGH noch nicht entschieden. In der Literatur wird diese Frage unter Hinweis auf die EuGH-Rechtsprechung zum Ersatz zukünftiger Schäden jedenfalls dann bejaht, wenn die Handlung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorgenommen wird und mit der Handlung zwangläufig ein Schaden eintreten wird. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 34a).

 

3. Klagebefugnis

 

Natürliche oder juristische Personen, die ihren Sitz im Geltungsbereich des Unionsrechts haben, sind unproblematisch klagebefugt. Auch unionsexternen natürlichen und juristischen Personen wird allgemein eine Klagebefugnis zugebilligt, (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 35; Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 14)  sofern es sich nicht um Drittstaaten selbst oder öffentliche Rechtssubjekte aus Drittstaaten handelt. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 15: In diesem Fall handelt es sich um eine Frage der völkerrechtlichen Haftung; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 36)

 

4. Vorverfahren

 

Eines der Klageerhebung vorangehenden Vorverfahrens bedarf es nicht. Der Betroffene ist nicht gezwungen, die Union vor Beschreiten des Rechtswegs zur Schadensersatzleistung aufzufordern. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 60). Stellt der Betroffene einen entsprechenden Antrag an das zuständige Organ, so wird gem. Art. 46 Satz 2 EuGH-Satzung die Verjährungsfrist unterbrochen. (vgl. EuGH Slg. 1967, 332, 354 – Kampffmeyer; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 60)

 

5. Klagefrist und Verjährung

 

Nach Art. 46 Satz 3 EuGH-Satzung hat der Kläger im Falle der vorgerichtlichen Geltendmachung seines Schadensersatzanspruches innerhalb der in Art. 263 Abs. 6 AEUV (Art. 230 Abs. 5 EG a.F) vorgesehenen Frist von zwei Monaten Klage zu erheben. Die Formulierung dieser Vorschrift ist missverständlich und könnte dahingehend interpretiert werden, dass nach Ablauf der Zweimonatsfrist eine Klage unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des EuGH verlängert jedoch Art. 46 Satz 3 EuGH-Satzung vielmehr den Ablauf der verjährungsrechtlichen Fünfjahresfrist, wenn der Geschädigte seinen Anspruch innerhalb der Frist vorher geltend macht.

 

Die in Art. 46 Satz 1 EuGH-Satzung geregelte Verjährungsfrist von fünf Jahren für Ansprüche aus außervertraglicher Haftung wird – obwohl es sich nach deutschem Verständnis um eine materiell-rechtliche Bestimmung handelt – als Zulässigkeitsvoraussetzung behandelt. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 41; zum Streitstand auch: Núnez Müller, EuZW 1999, 611 ff.; vgl. auch oben bei Rdn.1227) Die Einhaltung der Frist ist nicht von Amts wegen, sondern nur auf prozesshindernde Einrede des Beklagten zu beachten. (EuGH Slg. 1989, 1553 Rdn. 12 – Roquette; Núñez Müller EuZW 1999, 611, 614)

 

Die Erhebung der Nichtigkeitsklage hemmt die Verjährung nicht. (EuG Slg 1998, II-171, Rdn. 68 – Büring)

 

6. Rechtsschutzbedürfnis

 

An dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fehlt es, wenn das von ihm verfolgte Klageziel auf sachgerechtere Weise, insbesondere durch vorrangige Rechtsschutzmöglichkeiten verwirklicht werden kann. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 22).

 

a) Rechtsschutzmöglichkeiten des Unionsrechts

 

Die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV (Art. 230 EG a.F) und die Untätigkeitsklage gem. Art. 265 AEUV (Art. 232 EG a.F) haben keinen Vorrang. Der Betroffene kann deshalb sogleich Schadensersatzklage erheben und ist nicht gehalten, gegen das Schaden stiftende Verhalten zunächst mit einer dieser Klagen vorzugehen; (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 42 f) in der Praxis werden Nichtigkeits- und Schadensersatzklagen allerdings häufig miteinander verbunden.

 

Voraussetzungen der Art. 263, 265 AEUV (Art. 230, 232 EG a.F) kommen. (EuGH Slg. 1998, II-3380, Rdn. 62 – Oleifici)  Kann die Erhebung einer Nichtigkeits- oder Unterlassungsklage die Entstehung eines Schadens verhindern, ist bei deren Versäumen eine nachfolgende Schadensersatzklage unzulässig. (EuGH Slg. 1981, 2669 Rdn. 28 – Birke). 

 

b) Vorrang nationaler Rechtsbehelfe

 

Ferner stellt sich die – bisher nur unzureichend geklärte – Frage, wie das unionsrechtliche Haftungssystem vom jeweiligen nationalen Haftungssystem abzugrenzen ist. Für den Betroffenen, der nicht immer mit Sicherheit beurteilen kann, ob die Rechtsverletzung der Union oder dem Mitgliedstaat zuzurechnen ist, besteht die Gefahr, in haftungsrechtlichen Gemengelagen gegen den falschen Gegner vorzugehen, während sein Anspruch gegen den eigentlich Passivlegitimierten zu verjähren droht. Gegebenenfalls ist es geboten, Parallelprozesse gegen die Union und den Mitgliedstaat zu führen.

 

Im Wesentlichen sind die folgenden Konstellationen zu unterscheiden:

 

aa) Ausschließliche Verantwortlichkeit der Union

 

Grundsätzlich ist die Klage gegen die Union zu richten, wenn die nationalen Behörden zum Vollzug einer EU-Norm verpflichtet sind und die Rechtswidrigkeit des Vollzugsakts ausschließlich auf der Rechtswidrigkeit der EU-Norm beruht. (vgl. EuGH NVwZ 1992, 1077 – Mulder; Maurer, § 31, Rdn. 5; Jarass, NJW 1994, 881, 886; differenzierend hierzu Grabitz/Hilf – v. Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdnrn. 49 ff) Dies wird in erster Linie für solche Fälle zutreffen, in denen das nationale Organ bzw. die nationale Behörde zwar im eigenen Namen tätig wurde, jedoch über keinen eigenen Ermessenspielraum verfügt, um von der unionsrechtlichen Vorgabe inhaltlich abzuweichen. (Schockweiler, EuR 1993, 107, 128) Eine ausschließliche Verantwortlichkeit der Union ist anzunehmen, wenn ein Unionsorgan von seiner Befugnis Gebrauch macht, den nationalen Behörden den Erlass oder Nichterlass bestimmter Entscheidungen vorzuschreiben und der Behörde eine entsprechende Weisung erteilt. (EuGH Slg. 1986, 753, 768 -Krohn)

 

Beruft sich das beklagte Unionsorgan außerdem nicht darauf, dass die nationalen Behörden außerhalb der ihnen eingeräumten Befugnisse gehandelt haben, ist zu unterstellen, dass das zur Begründung der Schadensersatzklage geltend gemachte rechtswidrige Verhalten nicht von einer nationalen Stelle, sondern vom Unionsgesetzgeber ausgeht, sodass letzterem auch eventuelle Schäden zuzurechnen sind. (EuGH NVwZ 1992, 1077 f., Tz. 9 – Mulder; Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 7)

 

Dementsprechend ist aus der Sicht des BGH eine Verantwortlichkeit des Mitgliedstaats jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der mitgliedstaatliche Umsetzungs- oder Ausführungsakt an keinen selbstständigen Nichtigkeitsgründen leidet (BGH NVwZ-RR 1993, 449 – Milchgarantiemengenverordnung) und keine rechtswidrigen selbstständigen konstitutiven Elemente aufweist. (BGH NJW 1994, 858, 859 – Irak-Embargo)

 

Der Betroffene muss in diesen Fällen einen Anspruch gegen die Union aus Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F) geltend machen. (Schockweiler, EuR 1993, 107, 129) Eine Klage zum nationalen Gericht wäre mangels Anspruchsgrundlage unbegründet. (vgl. BGH NJW 1994, 858, 859 – Irak-Embargo: Weder Ansprüche aus Amtshaftung noch aus enteignungsgleichem Eingriff)

 

bb) Ausschließliche Verantwortung des Mitgliedstaates

 

Sofern die unionsrechtliche Norm rechtmäßig war und die Rechtswidrigkeit der Maßnahme lediglich auf einer fehlerhaften Umsetzung oder Ausführung durch nationale Organe oder Behörden beruht, kann der Schaden nicht der Union zugerechnet werden. Der Betroffene hat dann den Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. (Schockweiler, EuR 1993, 107, 127) Eine Klage gegen die Union wäre mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Der EuGH hat wiederholt Klagen als unzulässig abgewiesen, weil das Klageziel auf dem nationalen Rechtsweg erreichbar gewesen sei. (vgl. etwa EuGH Slg. 1979, 3657, 3671 f. – Wagner; EuGH Slg. 1980, 1299, 1311 – Sucrimex; EuGH Slg. 1982, 2233, 2247 f. – Interagra; EuGH Slg. 1986, 753, 769 – Krohn; kritisch hierzu Calliess/Ruffert – Cremer, Art. 235, Rdn. 7, der diese Problematik im Rahmen der Begründetheitsprüfung verorten möchte)

 

Eine ausschließliche Verantwortlichkeit des Mitgliedstaates wird vom EuGH grundsätzlich auch dann angenommen, wenn die nationale Behörde eigenverantwortlich unter Aufsicht der Kommission gehandelt hat. (EuGH Slg. 1978, 553 – Debayser) Dasselbe gilt, wenn die nationale Behörde auf eine Meinungsäußerung der Kommission hin gehandelt hat. Maßgebend ist bei beiden Konstellationen, dass die Einflussnahme des Unionsorgans keinen rechtlich bindenden Charakter für die nationale Behörde hatte und lediglich Ausdruck der notwendigen internen Zusammenarbeit zwischen den nationalen Stellen und den Stellen der Union ist. (vgl. EuGH Slg. 1989, 1299, 1310 – Sucrimex; hierzu Schockweiler, EuR 1993, 107, 128)

 

cc) Gemeinsame Verantwortlichkeit

 

Erhebliche Probleme bereiten „Gemengelagen“, in denen zur Fehlerhaftigkeit des Rechtsetzungsaktes der Union noch die Rechtswidrigkeit der nationalen Durchführungsmaßnahme hinzutritt. Die Behandlung solcher Haftungslagen ist noch nicht abschließend geklärt. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 25 ff.; zur Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung des EuGH Schockweiler, EuR 1993, 107, 129 ff) Der EuGH schien hier bisher von einer Subsidiarität der Haftung der Union auszugehen. (EuGH Slg. 1967, 332 – Kampffmeyer. Allerdings ging es in diesem Fall um das Verhältnis eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs gegen den Mitgliedstaat zu einem Haftungsanspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F) gegen die Union; hierzu André, NJW 1968, 331; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 58 f. m.w.N) Teile des Schrifttums gehen demgegenüber von einer Gesamtschuldnerschaft der Union und des Mitgliedstaats aus. ( Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 28 m. w. N; Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 59 m.w.N) Zwar hat sich der EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung nicht distanziert, jedoch liegen Hinweise auf eine Änderung der Rechtsprechung dahingehend vor, dass sich die Schadensverantwortlichkeit nunmehr nach den tatsächlich ausgeübten Einflussnahmen richtet. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 57)

 

Macht der Betroffene wegen eines auch von einer nationalen Behörde zu verantwortenden Schadens einen Anspruch aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG geltend, so stellt sich die Frage, ob eine möglicherweise gleichzeitig bestehende Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV (Art. 288 Abs. 2 EG a.F) als eine anderweitige Ersatzmöglichkeit i. S. v. § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB anzusehen ist. (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 26) In einer älteren Entscheidung hat der BGH die Verweisung auf Ansprüche gegen die Union für unzumutbar gehalten und deshalb eine Anwendbarkeit des Verweisungsprivilegs verneint. (BGH NJW 1972, 383, 384) Wenigstens im Kern zutreffend dürfte die Auffassung sein, dass der Mitgliedstaat und die Union als eine „Einheit der öffentlichen Hand“ zu betrachten sind, sodass eine Verweisung ausscheidet (OLG Köln, NJW 1968, 1578).

 

7. Aktivlegitimation

 

Aktivlegitimiert sind alle Rechtssubjekte, die durch das Verhalten eines Organs oder eines Bediensteten der Union einen Schaden erlitten haben. Dazu gehören alle natürlichen und juristischen Personen der Mitgliedstaaten. Aber auch unionsexternen Personen wird grundsätzlich ein Klagerecht zuerkannt. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 35, Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 9) Selbst Rechtssubjekte des öffentlichen Rechts, also Gemeinden oder Bundesländer, zählen zum Kreis der Aktivlegitimierten. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 9) Auch ein Klagerecht der Mitgliedstaaten ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings sollen diese gehalten sein, vorab von den ihnen speziell zustehenden Rechtsbehelfen der Art. 263, 265 AEUV (Art. 230, 232 EG a.F) Gebrauch zu machen. (vgl. EuGH Slg. 1982, 1855, 1874 f. – Bundesrepublik Deutschland./ Kommission; Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 9; ähnlich Grabitz/Hilf – v. Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 36)

 

Eine Schadensersatzklage aus abgetretenem Recht ist zulässig, wenn feststeht, dass die Abtretung der Schadensersatzforderung nicht missbräuchlich erfolgte. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 37)

 

8. Passivlegitimation

 

Die Schadensersatzklage nach Art. 268, 340 AEUV (Art. 235, 288 EG a.F) ist gegen die Union zu richten, vertreten durch das Unionsorgan, dem das haftungsbegründende Verhalten zuzurechnen ist. (EuGH Slg. 1973, 1229, 1247 – Werhahn ./. Rat) Da die Frage der Zurechenbarkeit häufig schwer zu beantworten ist, genügt es beim Zusammenwirken mehrerer Organe, die Klage allein gegen die Union zu richten. (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 39).

 

 

II. Beweisführung und Beweislast

 

Da der EuGH in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkt ist, konzentriert sich die Beweisführung und Beweisaufnahme im Wesentlichen auf das Verfahren vor dem Gericht der Europäischen Union. (vgl. Gündisch/Wienhues, S. 176)

 

1. Beweisverfahren vor dem EuG

 

a) Darlegungs- und Beweislast; Ermittlung des Streitstoffs

 

Im Verfahren vor den europäischen Gerichten überwiegen die Elemente der Verhandlungsmaxime. Es obliegt den Parteien, dem Gericht substantiiert die entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen und diese so weit wie möglich durch entsprechende Unterlagen und Dokumente zu belegen. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 1) Allerdings kann das Gericht auch von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 1)

 

Den Parteien in Verfahren vor dem EuG obliegt damit letztlich keine echte subjektive Beweis(führungs)last. Das Gericht hat von sich aus zu ermitteln, ob die von den Parteien aufgestellten Behauptungen zutreffen, auch wenn diese ihre Behauptungen nicht unter Beweis gestellt haben. (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 18)

 

Die Verteilung der objektiven Beweislast (Feststellungslast) ist in den unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften nicht geregelt. Aus diesem Grund wird auf allgemeine Erwägungen zurückgegriffen. (Einen Überblick zu den im deutschen Schrifttum vorgenommen Analysen der Rechtsprechung des EuGH zur Frage der objektiven Beweislast geben Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 6 ff). Grundsätzlich wird man davon ausgehen können, dass bei Schadensersatzklagen die objektive Beweislast auf Seiten des Klägers liegt. (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 10). Derjenige, der sich zur Verfolgung seines Prozessziels auf eine Rechtsnorm beruft, ist mit dem Risiko belastet, dass die zur Tatbestandserfüllung der Norm erforderlichen Tatsachen nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden können. (EuGH Slg. 1992, I-359, 417 – Finsider)

 

b) Beweismittel

 

Die den Parteien zur Verfügung stehenden Beweismittel sind in Art. 65 EuG-VfO genannt. Sie umfassen das persönliche Erscheinen der Parteien, die Einholung von Auskünften und die Vorlage von Dokumenten, die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und der Parteien selbst, sowie die Einnahme des Augenscheins. Bei der Parteieinvernahme eines Mitgliedstaates, eines Unionsorgans oder juristischer Personen werden die jeweils Bevollmächtigten vernommen. Der Vorlage von Dokumenten dürfte insgesamt die größte Bedeutung zukommen. Umstritten ist, ob darüber hinaus noch weitere Beweismittel zulässig sind, etwa Bild- oder Tonaufzeichnungen und Gutachten. (Hierzu Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 26 m. w. N)

 

Die Parteien haben die Beweismittel bereits in der Klageschrift und der Klageerwiderung zu benennen. Gem. Art. 48 EuG-VfO ist ein späterer Vortrag in der Erwiderung und Gegenerwiderung nur zulässig, wenn die Verspätung begründet wird. Im Übrigen können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf tatsächliche oder rechtliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

 

Von beweis- und verfahrensrechtlicher Bedeutung ist die prozessuale Mitwirkungspflicht der Parteien, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Erforschung des Sachverhalts zu beteiligen. Zu diesem Zweck kann das EuG gem. Art. 65 EuG-VfO i.V.m. Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EuGH-Satzung von den Parteien die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen, die es für erforderlich hält. Eine Verweigerung dieser Mitwirkungspflicht hat das EuG gem. Art. 24 Abs. 1 Satz 2 EuGH-Satzung ausdrücklich festzustellen. Weitergehende Rechtsfolgen, wie etwa im deutschen Prozessrecht Beweiserleichterungen und Beweislastumkehrungen in Fällen der Beweisvereitelung, sind in Art. 24 EuGH-Satzung nicht enthalten. Allerdings wird das EuG die Verletzung der Mitwirkungspflicht im Rahmen der freien Beweiswürdigung nachteilig berücksichtigen und in die Kostenentscheidung einfließen lassen. (vgl. Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 17)

 

c) Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

 

Die Beweisaufnahme wird gem. Art. 66 § 1 EuG-VfO mit Beweisbeschluss angeordnet. Sie erfolgt aufgrund des Vorberichts des Berichterstatters sowie der Anhörung des Generalanwalts und der Parteien. Der Beschluss hat neben den zu beweisenden Tatsachen auch die Beweismittel aufzuführen.

 

Regeln zur Beweiswürdigung sind weder in den Verfahrensordnungen noch in den Satzungen enthalten. Allgemein dürfte der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gelten. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 33) Eine bestrittene Tatsache ist bewiesen, wenn sie nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Als Beweismaß ist erforderlich, dass keine vernünftigen Zweifel am Vorliegen der behaupteten Tatsache bestehen. Für die Überzeugungsbildung ist deshalb nicht das Maß der absoluten Gewissheit zu verlangen; sie muss aber in sich widerspruchsfrei sein und darf den Denkgesetzen nicht widersprechen. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 24 Rdn. 33). 

2. Beweisverfahren beim EuGH

 

Das Verfahren der Beweisaufnahme beim EuGH ist in den Art. 45 - 54a VerfO-EuGH geregelt. Wegen seiner Funktion als Rechtsmittelinstanz wird es allerdings nur in seltenen Fällen zu einer eigenen Beweisaufnahme kommen, da der EuGH bei fehlenden Tatsachenfeststellungen zu einer Zurückverweisung an das EuG verpflichtet ist.

 

 

III. Rechtsmittel

 

1. Statthaftigkeit

 

Nach Art. 56 Abs. 1 EuGH-Satzung können gegen die Endentscheidungen des EuG Rechtsmittel zum EuGH eingelegt werden. Rechtsmittel sind auch statthaft gegen Entscheidungen, die über einen Teil des Streitgegenstandes ergangen sind oder die einen Zwischenstreit beenden, der eine Einrede wegen der Unzuständigkeit oder Unzulässigkeit zum Gegenstand hatte.

 

Eine nähere Bezeichnung und Einordnung des „Rechtsmittels“ enthalten die Verfahrensvorschriften nicht. Es orientiert sich an der Kassationsbeschwerde des niederländischen, belgischen und französischen Rechts. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 4) Nach Art. 58 Abs. 1 EuGH-Satzung ist das Rechtsmittel auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkt. Es kann nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigenden Verfahrensfehler oder auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt werden. Aufgrund dieser Einschränkungen ähnelt das Rechtsmittel der Revision im deutschen Prozessrecht. ( Gündisch/Wienhues, S. 190) Eine weitere Tatsacheninstanz, bei der wie im deutschen Recht wenigstens in eingeschränktem Umfang das Vorbringen von Tatsachen möglich ist, gibt es nicht. In der Rechtsmittelinstanz sind neuer Tatsachenvortrag und neue Beweismittel ausgeschlossen. (Gündisch/Wienhues, S. 190).

 

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels hängt bislang weder von der Höhe des Streitwerts noch von einer ausdrücklichen Zulassung ab. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 4)

 

2. Rechtsmittelbefugnis

 

Nach Art. 56 Abs. 2 EuGH-Satzung kann das Rechtsmittel von der Partei eingelegt werden, die mit ihren Anträgen vor dem EuG ganz oder teilweise unterlegen ist. Streithelfer können grundsätzlich nur dann Rechtsmittel einlegen, soweit sie von der Entscheidung des Gerichts unmittelbar berührt werden. Erforderlich ist die Verfolgung unmittelbar betroffener eigener Rechte, ein lediglich berechtigtes Interesse des Streithelfers am Ausgang des Rechtsstreits reicht nicht aus. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 12) Mitgliedstaaten und Unionsorgane können auch dann Rechtsmittel einlegen, wenn sie dem Rechtsstreit bislang nicht beigetreten waren, Art. 56 Abs. 3 EuGH-Satzung.

 

3. Rechtsmittelfrist

 

Die Rechtsmittelfrist beträgt gem. Art. 56 Abs. 1 HS. 2 EuGH-Satzung zwei Monate. Es handelt sich um eine Ausschlussfrist. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 16). Sie beginnt mit der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung und berechnet sich nach Art. 80 VerfO-EuGH nach den aus dem deutschen Recht bekannten Grundsätzen. Eine gesonderte Frist zur Einlegung und zur Begründung des Rechtsmittels gibt es nicht. Die Rechtsmittelschrift muss gem. Art. 112 VerfO-EuGH unter anderem die Anträge und die Begründung enthalten.

 

4. Rechtsmittelverfahren

 

Der Ablauf des Rechtsmittelverfahrens richtet sich nach Art. 110 ff. VerfO-EuGH. Nach Art. 119 VerfO-EuGH kann der EuGH das Rechtsmittel jederzeit zurückweisen, wenn es offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, so kann der EuGH nach Art. 61 EuGH-Satzung die Entscheidung des EuG aufheben und den Rechtsstreit selbst entscheiden, wenn die Sache spruchreif ist. Das Urteil erwächst dann mit seiner Verkündung in Rechtskraft. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 42). Fehlt es an der Spruchreife, so ist die Sache zur Entscheidung an das EuG zurückzuverweisen. Eine Entscheidungsreife liegt insbesondere dann nicht vor, wenn noch bestimmte klärungsbedürftige Tatsachen offen, erforderliche Beweise nicht erhoben oder erhobene Beweise nicht gewürdigt worden sind, oder noch nicht alle rechtserheblichen Gesichtspunkte in erster Instanz mit den Parteien erörtert wurden. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 28 Rdn. 42)

 

IV. Abschließende Entscheidung und Vollstreckung

 

Wird die Union zur Zahlung verurteilt, so ergeht ein Leistungsurteil. Das Leistungsurteil ist gem. Art. 280 i.V.m. Art. 299 AEUV (Art. 244 EG i.V.m. Art. 256 EG a.F) vollstreckbar. Da der Schadensersatz in Geld festgesetzt wird, erkennt das Gericht in der Regel auch einen Zinsanspruch zu. (Rengeling/Middeke/Gellermann, § 9 Rdn. 53) Wird lediglich beantragt, die Haftung der Union dem Grunde nach festzustellen, ergeht im Falle des Obsiegens ein Feststellungsurteil, das nicht vollstreckbar ist.

 

 

 

C. Haftung der Europäischen Zentralbank

Nach Art. 340 Abs. 3 AEUV (Art. 288 Abs. 3 EG a.F.) findet Art. 340 Abs. 2 AEUV in gleicher Weise für den durch die EZB oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden Anwendung. Art. 340 Abs. 3 AEUV sieht dabei eine direkte Haftung der EZB vor. Passivlegitimiert ist die EZB als solche.

 

 

D. Haftung bei rechtmäßigem Handeln und vertragliche Haftung

 

I. Haftung bei rechtmäßigem Handeln

 

Trotz des Fehlens von entsprechenden Grundlagen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen käme zwar grundsätzlich auch ein unionsrechtlicher Ersatzanspruch für rechtmäßiges Handeln in Betracht. Nach anfänglichen Zweifelsfragen hat der EuGH aber eine Haftung für rechtmäßiges Handeln strikt abgelehnt (EuGH, Urt. v. 9.9.2008, verb. Rs. 120 u. 121/06, Rdn. 169 – FIAMM; Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht), S. 695). Die Einzelheiten sind aber noch völlig ungeklärt, weil in besonderen Einzelfällen eine Haftung möglicherweise doch in Betracht kommt (Frenz/Götzkes, DVBl. 2009, 1052, 1053).

 

II. Vertragliche Haftung

 

Unter die vertragliche Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 1 AEUV (Art. 288 Abs. 1 EG a.F.) fällt die Haftung aus zivilrechtlichen (Grabitz/Hilf-v.Bogdandy, Art. 288 EGV, Rdn. 23; Detterbeck, AöR 125, 202, 205) und öffentlich-rechtlichen Verträgen mit der Union.

 

Gemäß Art. 340 Abs. 1 AEUV (Art. 288 Abs. 1 EG a.F.) bestimmt sich die vertragliche Haftung der Union nach dem Recht des jeweils anwendbaren privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Vertrages (Bleckmann, DVBl. 1981, 889), den die Union in Ausübung der ihr zugewiesenen Befugnisse mit Dritten abgeschlossen hat. Dritter kann jede natürliche oder juristische Person sein. Hierzu zählen auch Mitgliedstaaten, Gebietskörperschaften oder internationale Organisationen.

 

Lässt sich das auf den Vertrag anzuwendende Recht weder diesem selbst noch dem erkennbaren Parteiwillen entnehmen, sind die Regeln des Internationalen Privatrechts anzuwenden. Hiernach kommt es in der Regel zur Anwendung des belgischen bzw. luxemburgischen Haftungsrechts als Recht des Sitzlandes (Pieper, NJW 1992, 2454, 2455).

 

Nicht einheitlich beantwortet wird die Frage, wie der Begriff der „vertraglichen Haftung“ zu verstehen ist. Teilweise wird er in einem weiten Sinn ausgelegt, sodass neben der Haftung für Nicht- oder Schlechterfüllung auch das Verschulden bei Vertragsschluss, Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag sowie Bereicherungsansprüche umfasst sind. Insbesondere eine Entscheidung des EuG, in der eine Schadensersatzklage wegen vergeblicher Aufwendungen aufgrund eines in Aussicht gestellten, aber letztlich nicht zustande gekommenen Vertragsabschlusses nicht unter dem Gesichtspunkt eines vorvertraglichen Schuldverhältnisses, sondern als außervertragliches Haftungsverhältnis wegen Verstoßes gegen den Vertrauensschutz behandelt wurde, spricht jedoch für eine engere Auslegung des Begriffs (EuG Rs. T – 203/96, Embassy Limousines & Services, Slg. 1998, II – 4239, Rdn. 74 ff.). So wird demgemäß auch vertreten, dass nur Rechtsverhältnisse, die durch übereinstimmende Willenserklärung zustande gekommen sind, als „Vertrag“ im Sinne des Art. 340 AEUV (Art. 288 EG a.F.) zu verstehen seien.

 

Für vertragliche Haftungsansprüche gegen die Union sind gem. Art. 274 AEUV (Art. 240 EG a.F.) die einzelstaatlichen Gerichte zuständig. Nach Art. 272 AEUV (Art. 238 EG a.F.) kann aber auch in einer Schiedsklausel die Zuständigkeit des EuGH vereinbart werden, was bei öffentlich-rechtlichen Verträgen häufig geschieht. Für solche Klagen ist nunmehr das Gericht der Europäischen Union zuständig, Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 AEUV (Art. 225 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 EG a.F.).